_ 22. Juni – 22. Juli 2017
KICKIN‘ THE TIRES
Matthew Deleget [*1972 in Hammond, Indiana, US] ist ein Multitalent in der reduktiven Kunstszene der USA. Als aktiver Künstler, Kurator, Dozent, Autor und Betreiber des legendären Minus Space in Brooklyn/NY, setzt er seine gesamte Kraft dafür ein, die Wahrnehmung und Relevanz minimal-konzeptueller Positionen in der zeitgenössischen Kunst zu fördern.
In seinem eigenen künstlerischen Werk gelingt es ihm, die umfangreichen Kenntnisse der aktuellen wie der vergangenen Strömungen der Kunstrichtungen dieser Prägung und ihrer Entwicklungen frei von rein ästhetischen oder formalen Anleihen daran einfließen zu lassen. Er arbeitet stets radikal, konzeptuell scharf und bisweilen hart und provokativ. Mit seinen bildnerischen Aussagen fordert er die nicht-abbildende Kunst und ihre Akteure dazu auf, gesellschaftliche und politische Aktualitäten nicht auszublenden sondern subtil und individuell zu reflektieren, um das freiheitliche Weiterdenken bei den Betrachtenden einzufordern und dadurch Impulse zu einer selbsttätigen Analyse der Gegenwart an sich zu fördern. „[…] Meine Arbeit nimmt auf, verdaut und reagiert darauf, was ich täglich um mich herum sehe und höre – urbane Kultur, Grundsätze der Unternehmensführung, Nachrichtenpropaganda, aussichtslose Kriege, religiöser Fundamentalismus, skrupelloser Materialismus und mehr. Mir geht es darum, das Thema der reduktiven Abstraktion von jedem möglichen Blickwinkel aus anzugehen.“, schreibt Matthew Deleget 2012 in seinem Beitrag zu FutureShock OneTwo, einer internationalen Gruppenausstellung bei dr. julius | ap.
Im Nachgang dazu stellte Matthew Deleget in „Related Lines“ mit Hartmut Böhm in 2015 erstmals umfangreicher in Berlin aus. Für die Duo-Ausstellung in 2017 hat er fünf neue Arbeiten seiner Werkgruppe der broken monochrome paintings ausgeführt und als direkte Kommentare zur aktuellen Situation in den Vereinigten Staaten nach der Machtübernahme durch die Trump-Administration benannt.
Natalie Reusser [*1988 in Bern, CH] erarbeitet auf vielfältige und unkonventionelle Weise eigene Wege zur Überwindung tradierter Auffassungen in der bildenden Kunst, in erster Linie ausgehend von der Malerei. Ihr persönlicher Zugang erfolgte dabei über die Auseinandersetzung mit der Materialität von Leinwand und Farbe, wodurch in der Folge immer stärker die textilen Qualitäten der Trägermaterialien an sich ins Zentrum ihres Interesses rückten. Seither beschäftigt sie sich forschend und erfindungsreich mit allen Arten von Textilien und Geweben, eigenen Methoden in deren Be- und Verarbeitung sowie mit spezifisch darauf angewendeten handwerklichen Techniken. „Es ist Teil meiner Strategie mit einem möglichst unvoreingenommen Blick der Materialität zu begegnen. Die Erkundung dieser Stoffe – das Anschauen, Auseinandernehmen, Ergänzen, Nachahmen, Umwandeln, Kombinieren – legt Eigenschaften und Qualitäten jenseits der ihnen zugedachten Funktionen frei. Ich verstehe meine Arbeitsweise somit als einen permanenten Dialog mit dem Unbekannten“ merkt die Künstlerin selbst dazu an.
Es sind so Arbeiten entstanden, die von auf Leinen oder alltäglichen Stoffen aufgebrachten und bearbeiteten Farbschichten bzw. Materialkombinationen bis hin zu Objekten beispielsweise aus Carbon- oder Glasfasern reichen. Dabei experimentiert Natalie Reusser sowohl mit Gesso oder Ton, Ölfarben oder Acryllacken als auch mit unkonventionellen Modifikationen von Werkstoffen. Die Nutzung von Materialien aus der industriellen High-Tech-Entwicklung jenseits ihres ursprünglichen Zwecks, wie etwa Carbon-, Glas- Aramid- oder Dyneemageweben als Bestandteile ihrer Arbeiten, führt dabei zu innovativen Ergebnissen, die sich die Künstlerin aneignet und auf deren Basis sie ihre nächsten Versuche anstellt.
Nach ihrem Beitrag zu START-UP! ist die Duo-Ausstellung mit Matthew Deleget die erste umfassende Gelegenheit, die erfrischende und überraschende Kunst von Natalie Reusser bei dr. julius | ap zu sehen.
KICKIN‘ THE TIRES stellt diese beiden aus biografisch ganz unterschiedlichen Hintergründen entstanden Haltungen einander gegenüber bzw. einander zur Seite. Gemeinsam ist ihnen etwa die Skepsis gegenüber den Konventionen, Dogmen und Gesetzen des Überkommenen bzw. der Tradition. Der Titel bezieht sich dabei auf eine in der Frühzeit der Automobile im Amerikanischen aufkommende Redewendung, wo man die oft unzureichende Qualität des Materials der Reifen durch Dagegentreten überprüfen musste, also auf das direkte Hinterfragen der Beschaffenheiten des Angebotenen.
KICKIN‘ THE TIRES
Matthew Deleget [US] + Natalie Reusser [CH]
Eröffnung Donnerstag, 22. Juni 2017, 19 – 21 Uhr
Ausstellung bis 22. Juli 2017
Donnerstag – Samstag 15 – 19 Uhr und auf Verabredung
_ June 22 through July 22, 2017
KICKIN‘ THE TIRES
Matthew Deleget [US] + Natalie Reusser [CH]
Matthew Deleget [b. 1972, Hammond, Indiana, US] is a multi-talented artist active in the American reductive art scene. As an artist, curator, lecturer, author, and co-founder of the legendary gallery MINUS SPACE in Brooklyn, New York, he has devoted his career to promoting the visibility and relevance of the minimal-conceptual approach in contemporary art.
Deleget’s own work incorporates his extensive knowledge of current and past trends of this artistic approach, but does not simply borrow aesthetic or formal ideas. Deleget’s work is persistently radical, conceptually sharp, and sometimes even severe and provocative. His visual statements invitenon-figurative art and artists not to shut out current social and political realities, but rather to reflect on them in subtle ways that challenge viewers to think for themselves, thereby stimulating individual, independent analysis of the contemporary world in general. “[…] my work absorbs, digests, and reacts to what I see and hear around me daily in my environment—urban culture, corporate government, news propaganda, unwinnable wars, religious fundamentalism, unconscionable materialism, and more. I am interested in attacking the problem of reductive abstraction from every possible vantage point,” Matthew Deleget wrote in 2012 in conjunction with his contribution to FutureShock OneTwo, an international group show at dr. julius | ap.
The first extensive exhibition of Deleget’s work in Berlin was in 2015, in the joint show “Related Lines”with Hartmut Böhm. For this 2017 duo show he completed five new pieces in the series broken monochrome paintings, whose titles comment directly on the current situation in the United States in the wake of Trump’s rise to power.
In varied and unconventional ways, Natalie Reusser [b. 1988 in Bern, Switzerland] strives to overcome inherited conceptions of visual art, and painting in particular. Her approach developed out of a fundamental engagement with the materiality of canvas and paint, through which the textile qualities of the supporting material increasingly became the focal point. Since then she has explored all kinds of textiles and fabrics, working inventively to develop personal methods of handling and treatment, as well as experimenting with techniques specific to each material. “My strategy is to confront materials in as unprejudiced a way as possible. My investigation of these fabrics—through looking, deconstructing, adding, imitating, transforming, and combining—exposes characteristics and qualities that transcend the fabric’s intended function. I therefore see my method as a constant dialogue with the unknown,” Reusser explains.
This method has led to works ranging from paint layered and worked on linen or other common fabrics, to assemblages, to objects made of glass- or carbon fibers. Reusser also experiments with gesso and clay, oil- and acrylic paint, and with unconventional modifications of materials. The application of materials from the high-tech industry, such as carbon-, glass-, aramide-, or Dyneema fabric, for new purposes often leads to innovative results, which the artist then appropriates and uses as a starting point for her next project.
Following Reusser’s participation in START-UP!, this duo-show with Matthew Deleget is the first major opportunity to see her refreshing, surprising art at dr. julius | ap.
KICKIN’ THE TIRES sets these two perspectives, which derive from biographically very different backgrounds, across from and next to each other. The two artists nonetheless share a skepticism toward convention, dogma, and received rules and tradition. The title references an expression that comes from the early era of the automobile in America, when potential car-buyers would test the often-dubious quality of tires by kicking them: an unmediated scrutiny of the nature and composition of the product on offer.