ISOLARE
Zwei Kunstprojekte von Robert Gschwantner [AT]

Eröffnung Sonntag, 5. September 2021, 11:30 – 16 Uhr
Ausstellung bis 9. Oktober 2021
Geöffnet samstags von 14 – 18 Uhr und täglich auf Verabredung
Vorbehaltlich pandemiebedingter Regelungen




____DE____

Zum Auftakt der diesjährigen Herbst-Saison der Kunst, und mit wichtigen gesellschaftspolitischen Entscheidungen vor Augen, richtet drj art projects in der Ausstellung ISOLARE den Blick auf zwei ausgewählte Kunstprojekte von Robert Gschwantner.
In diesen beschäftigt sich der Künstler mit der Veränderung von Umwelt und Landschaft durch das Eingreifen der Menschen, und insbesondere anhand zweier Inseln mit den Auswirkungen der Meeresverschmutzung.

[Um weiterzulesen bitte nach unten scrollen


____EN____

ISOLARE
Two Art Projects by Robert Gschwantner [AT]



To initiate this year‘s autumn art season, and with important social and political decisions in mind, drj art projects focuses on two selected art projects by Robert Gschwantner with the exhibition ISOLARE.
In these, the artist deals with the change of environment and landscape through human intervention, and in particular with the effects of marine pollution with reference to two islands.

[to continue reading please scroll down]


Collection I, 2021.
PVC tubes, seawater, sand, plastic particles.

Collection I, 2021. Folded 55 x 53 cm

Collection II, 2021. Folded 95 x 70 cm

Collection III, 2021. 165 x 105 cm


[to continue reading in English scroll down, please]



Die Künste und ihre Akteur:innen sind immer auch Seismografen der gesellschaftlichen Entwicklungen. So ist es wenig überraschend, dass das in seiner längst erkennbaren Wirkmacht wichtigste Thema unserer Zeit aktuell immer stärker in Ausstellungen von Museen und öffentlichen Institutionen präsent wird: die absehbare Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und Zivilisation durch die ungehemmte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Planeten Erde durch uns Menschen.

Aktuelle Beispiele sind etwa die gesellschaftskritische Performance »Sun & Sea«, die mit der Hinterfragung von globalem Tourismus und umweltpolitischer Gleichgültigkeit als litauischer Beitrag der Kunstbiennale in Venedig 2019 den Goldenen Löwen gewann – und jüngst auch im E-Werk Luckenwalde zu sehen war; die Gruppenausstellung ​​»Zero Waste​​«, die bis Ende 2020 im Museum der bildenden Künste Leipzig internationale Positionen zeitgenössischer Kunst versammelte, welche auf die Dringlichkeit, Ressourcen zu schonen, weniger zu konsumieren und nachhaltiger zu leben verwiesen; die Eröffnungsausstellung zum Themenjahr »Neue Natur« mit dem Titel »Ich hasse die Natur« im Schiller-Museum Weimar, die medial aufwändig und eindrücklich die komplizierte Beziehung zwischen Mensch und Natur darstellt; oder das TOPIA Festival, veranstaltet von der Künstler:innen-Initiative frontviews im HAUNT Berlin, das sich mit dem gegenwärtigen Zustand unseres Globus am Scheideweg beschäftigt: Entweder gelingt es, eine echte Koexistenz mit allen Wesen, positive Kreisläufe der Natur und eine nachhaltige Utopie zu erreichen – oder es heißt eben, unterzugehen.

Ganz neu ist die Auseinandersetzung mit Umweltfragen auf dem Feld der Kunst selbstverständlich nicht. Bereits seit mehr als zwanzig Jahren veranstaltet beispielsweise das Umweltbundesamt die direkt so benannte Reihe »Kunst und Umwelt« und lädt Künstler:innen ein, ihre Arbeit mit Bezug zu Umweltthemen in einem institutionellen Rahmen zu zeigen. Und erst vor kurzem starb mit 91 Jahren der Berliner Aktionskünstler Ben Wagin, der sich zeitlebens für Nachhaltigkeit und das Nachdenken über unser Verhältnis zu Umwelt und Natur engagierte.

Der österreichische Künstler Robert Gschwantner, geboren 1968, arbeitet seit mehr als 20 Jahren in verschiedenen Projekten und Werkzyklen zum Verhältnis von menschlichem Handeln und Gefährdung der Umwelt. Neben den ökologischen Fragen interessiert ihn dabei insbesondere das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit.

Seine eigene künstlerische Entwicklung ist eng mit dem persönlichen Erleben einer großen Umweltkatastrophe verknüpft: der Havarie des Tankers Erika im Jahr 1999. In einem Sturm zerbrach der Tanker in zwei Teile, sank vor der bretonischen Küste und verlor dabei den Großteil seiner Ladung von über 30.000 Tonnen Öl. Durch das ausfließende Schweröl wurden die Küsten der Bretagne auf einer Länge von 400 Kilometern verschmutzt, es setzte sich in den Spalten der zerklüfteten Felsen fest und ließ zig Tausende von Seevögeln verenden.

Zusammen mit dem Fotografen Roberto Conz fuhr Robert Gschwantner in das ​stark ​von der Ölpest betroffene Fischerdorf Le Croisic und sammelte ausgeflossenes Erdöl ein. Er befüllte damit dünne, transparente PVC-Schläuche, die er zuvor wie traditionelle Teppiche geflochten hatte. Der metaphorische Begriff ​​»​Ölteppich​​«​ ​wurde dadurch zum Ausgangspunkt für eine künstlerische Arbeit.
Die schaurige Schönheit des todbringenden und gleichzeitig unseren Wohlstand mitbegründenden Öls machte er auf diese Art in sehr besonderer Weise sichtbar. In den folgenden Jahren kamen so neben dem Erdöl auch kontaminiertes Wasser, industriell verseuchter Schlamm und andere Flüssigkeiten zum Einsatz. Gschwantner nennt diese Materialien, die als Füllmaterial seiner Teppiche und Bilder dienen, »Landschaftsreliquien«.

In der Ausstellung ISOLARE werden zwei Projekte aus diesem Werkzyklus einander gegenübergestellt: EYE-LAND, bzw. IJsseloog [NL], von 2014 und LOST & FOUND von 2020. Beide beschäftigen sich mit Situationen auf sehr direkt von menschlichen Eingriffen betroffenen Inseln.

IJsseloog [Deutsch: IJssel Auge] ist eine künstlich angelegte, zwei Kilometer lange Insel im niederländischen Binnensee Ketelmeer. Dort wurde ein kreisrunder künstlicher See als Deponie für verseuchten Schlamm angelegt, den der Rhein an seinem Mündungsarm IJssel über Jahrzehnte abgelagert hat. Um zudem den Kanal zur Mündung der IJssel auf mindestens 3,5 m zu vertiefen und damit den Zugang zum Fluss für die Schifffahrt zu verbessern, wurde der kontaminierte Schlick ausgebaggert und in diese Sondermüll-Deponie verbracht. Das Schlickdepot wurde in der Mitte des Sees angelegt, um die Küstenstreifen vor eventuellen negativen Folgen der Deponie möglichst zu bewahren.
Robert Gschwantner hat vor Ort von diesem Schlamm Proben entnommen, um sie als Material einer Reihe von Werken zu verwenden, die sich diesem absurden Ort widmen. In den Arbeiten des Projekts sind mit Meerwasser und Schwermetallschlamm gefüllte PVC-Schläuche über abstrakten Formmustern auf dreidimensionale Bildträger gespannt. Die visuell an Op-Art Eindrücke angelehnten Bilder, die dadurch entstehen, reflektieren die schwer fassbare Irritation und dennoch auch sichtbare Schönheit, die IJselloog ausmachen.

Für LOST & FOUND sammelte Robert Gschwantner auf der griechischen Insel Gyali Sand an den Stränden ein. Diese Insel ist vulkanischen Ursprungs und besteht geologisch aus Obsidian und Bimsstein. Ihr Landschaftsbild wird von zwei weit sichtbaren Hügeln geprägt, die jedoch durch den Tagebau des größten Bimsvorkommens Griechenlands in einigen Jahrzehnten verschwinden werden. Die Hügel sind mit einer schmalen Landzunge verbunden, auf der sich an der Nord- und Südseite Sandstrände befinden. Durch die Meeresströmung wird insbesondere der Nordstrand mit angeschwemmtem Müll verschmutzt. Umweltorganisationen sammeln diesen einmal jährlich ein, kleinere Plastikpartikel bleiben aber mit Sand vermischt vor Ort. Um die Mikroplastik-Anteile sichtbar zu machen, nutzte der Künstler erneut die geflochtenen Teppiche aus PVC-Schläuchen. Nun beinhalten sie den eingesammelten Sand und Meerwasser von der Insel. Durch das visuelle Isolieren dieser Bestandteile wird neben einer bizarren Ästhetik, die sich durch den neuen Kontext zeigt, jedoch auch unübersehbar, welche Dimensionen das Handeln der Menschen bereits auf der Mikroebene in der Umwelt angerichtet hat. Das unterstreichen die Objekte Gschwantners in der Ausstellung eindrucksvoll.

Insbesondere mit seinem Fokus auf Mikroplastik schließt sich insofern ein Kreis im persönlichen Schaffen des Künstlers: Waren es 1999 die offenkundigen und schrecklichen Verwüstungen des schwarzen, todbringenden Öls in der Bretagne, die er als Impuls für seine Entwicklung aufgenommen hat, sind es 22 Jahre später die aus diesem Rohstoff gefertigten Abfälle von Plastikprodukten in Sandkorngröße, die er ins visuelle Bewusstsein holt. Die vermeintlich unschuldige und farbenfröhliche Schönheit der winzigen Partikel in seinem Geflecht führt jeder:m Betrachter:in ganz klar vor Augen, was so gerne übersehen wird: längst sind sämtliche Bereiche unseres Planeten von unseren Zivilisations-Abfällen durchdrungen und es gibt keine reale Chance mehr, den dadurch impliziten Folgen zu entkommen!

Ohne plakativ oder belehrend den moralischen Zeigefinger zu heben, gelingt es Robert Gschwantner aufzuzeigen, dass es kein Weg zu einer Lösung sein wird, davor die Augen zu verschließen.

Es ist Zeit zu handeln, obwohl es längst zu spät ist.


​​Anmerkung: Arbeiten von Robert Gschwantner sind ab September auch in »Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters« im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen. Hier werden Bezüge zu Fluch und Segen dieses Rohstoffs und seiner enormen Wirkmacht in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gestellt.


_____EN_____

The arts and their protagonists are always also seismographs It is therefore hardly surprising that the most important subject of our time, which has long been recognizable in its impact, is currently becoming more and more present in exhibitions of museums and public institutions: the foreseeable destruction of the foundations to our life and civilisation through the unrestrained exploitation of the natural resources of planet Earth by us humans.

Current examples include the socio-critical performance »Sun & Sea«, which questioned global tourism and environmental indifference and won the Golden Lion as the Lithuanian contribution to the 2019 Venice Art Biennale – and was recently also shown at E-Werk Luckenwalde; the group exhibition »Zero Waste«, which ran until the end of 2020 at the Museum der bildenden Künste Leipzig and brought together international positions in contemporary art that pointed to the urgency of conserving resources, consuming less and living more sustainably; the opening exhibition for the theme year »New Nature« entitled »I hate nature« at the Schiller Museum in Weimar, which uses elaborate media to impressively portray the complicated relationship between humans and nature; or the TOPIA Festival, organised by the artists‘ initiative frontviews at HAUNT Berlin, which deals with the current state of our globe at a crossroads: Either we succeed in achieving genuine coexistence with all beings, positive cycles of nature and a sustainable utopia – or it means to perish.

Of course, the discussion of environmental issues in the field of the arts is not entirely new. For more than twenty years, the German Federal Environment Agency, for example, has been running the series »Art and the Environment« and inviting artists to show their work on environmental issues in an institutional setting. And just recently, at the age of 91, the Berlin action artist Ben Wagin died, who was committed throughout his life to sustainability and thinking about our relationship to the environment and nature.
The Austrian artist Robert Gschwantner, born in 1968, has been exploring the relationship of human activity and threats to the environment in various projects and work cycles for more than 20 years. In addition to ecological questions, he is particularly interested in the fundamental tension between naturality and artificiality.

His own artistic development is closely linked to his personal experience of a major environmental disaster: the accident of the tanker Erika in 1999. The tanker broke in two during a storm, sank off the coast of Brittany and lost most of its cargo of over 30,000 tonnes of oil. The leaking heavy oil polluted 400 kilometres of Brittany‘s coastline, settling in the crevices of the jagged rocks and killing tens of thousands of seabirds.

Together with photographer Roberto Conz, Robert Gschwantner traveled to the fishing village of Le Croisic, which was badly affected by the oil spill, and collected spilled oil. He filled thin, transparent PVC tubes with it, which he had previously woven like traditional carpets. The metaphorical term »oil carpet« thus became the starting point for this artistic work.
In a very particular way, he revealed the eerie beauty of the oil that causes death and at the same time is one of the foundations of our prosperity. In the following years, contaminated water, industrially polluted sludge and other liquids were used in addition to oil. Gschwantner calls these materials, that serve as filling material for his carpets and paintings, »landscape relics«.

In the exhibition ISOLARE, two projects from this cycle of works will be juxtaposed: EYE-LAND, or IJsseloog [NL], from 2014 and LOST & FOUND from 2020, both dealing with situations on islands that are very directly affected by human intervention.

IJsseloog is a man-made, two-kilometre-long island in the Dutch inland lake Ketelmeer. A circular artificial lake was created there as a dumping ground for contaminated sludge deposited by the Rhine at its estuary IJssel over decades. In addition, in order to deepen the channel to the mouth of the IJssel to at least 3.5 m and thus improve access to the river for shipping, the contaminated silt was dredged and transported to this hazardous waste dump. The silt depot was placed in the middle of the lake to protect the shoreline from possible negative consequences of the landfill as best as possible.
Robert Gschwantner took samples of this silt on site to be used as material in a series of works dedicated to this absurd place. In the works of the project, PVC tubes filled with seawater and with heavy metal contaminated sludge are stretched over abstract patterns of shapes on three-dimensional panels. The resulting images, visually reminiscent of op-art impressions, reflect the elusive irritation and yet also visible beauty that is IJselloog.

For LOST & FOUND, Robert Gschwantner collected sand from the beaches on the Greek island of Gyali. This island is of volcanic origin and geologically consists of obsidian and pumice. Its landscape is characterised by two hills that are visible from afar, but will disappear in a few decades due to the open-cast mining of the largest pumice deposit in Greece. The hills are connected by a narrow headland with sandy beaches on the north and south sides. The sea currents pollute the northern beach in particular with washed-up rubbish. Environmental organisations collect this once a year, but smaller plastic particles remain on site mixed with sand. To make these microplastic particles visible, the artist has again used the woven carpets made of PVC tubes. Now they contain the collected sand and seawater from the island. By visually isolating these components, however, in addition to a bizarre aesthetic that is revealed by the new context, it also becomes impossible to overlook the dimensions that the impact of human activity has already wreaked on the environment at the micro level. This is impressively underlined by Gschwantner‘s objects in the exhibition.

Particularly with his focus on microplastics, the artist‘s personal work has come full circle: in 1999, it was the obvious and terrible devastation of the black, deadly oil in Brittany that he took up as an impulse for his development; 22 years later, it is the waste of plastic products the size of grains of sand made from this raw material that he brings into visual awareness. The supposedly innocent and colourful beauty of the tiny particles in his mesh makes everyone clearly aware of what is so often being overlooked: all areas of our planet have long since been permeated by our civilisation‘s waste and there is no longer any real chance of escaping the implicit consequences!

Without raising the moral finger in a bold or lecturing manner, Robert Gschwantner succeeds in showing that closing one‘s eyes to this will not be the way to a solution.

It is time to act, even though it is already too late.


Note: Works by Robert Gschwantner will also be featured in »Oil. Beauty and Horror of the Petroleum Age« at the Wolfsburg Art Museum. Here, references to the curse and blessing of this raw material and its enormous impact are at the centre of the discussion.