Klimafilm/Gelbfilm
Street Screening Project zu einer zeit- und ortsbasierten Arbeit von Oliver Siebeck

Im Digitalen Schaufenster von drj art projects, auf der Roten Insel in Berlin, wird beginnend mit der Wintersonnenwende ein Projekt von Oliver Siebeck gezeigt: Ab dem 21. Dezember 2021 läuft dort »Klimafilm/Gelbfilm« und wird für genau vier Wochen ununterbrochen zu sehen sein.
Zwei Texte, hier unter dem Gelben Quadrat zu finden, geben Auskunft zu Konzept, Inhalt und Hintergrund der Arbeit.


Klimafilm/Gelbfilm von Oliver Siebeck
Programmiert von Bernd Riehm
Ab Dienstag, 21. Dezember 2021, 15:54 Uhr, bis Freitag, 21. Januar 2022, 16:32 Uhr

drj art projects, Digitales Schaufenster, Leberstraße 60, 10829 Berlin


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A project by Oliver Siebeck will be shown in the Digital Store Window of drj art projects, on the Rote Insel in Berlin, beginning with the winter solstice: Starting on December 21, 2021, »Klimafilm/Gelbfilm« [Climate Film/Yellow Film] will run there and will be shown continuously for exactly four weeks.
Two texts, to be found here below the Yellow Square, reveal information about the concept, content and background of the work.

Klimafilm/Gelbfilm by Oliver Siebeck
Programmed by Bernd Riehm

From Tuesday, December 21, 2021, 3:54 p.m., through Friday, January 21, 2022, 4:32 p.m.
drj art projects, Digital Store Window, Leberstrasse 60, 10829 Berlin

Thomas Goldstrasz – Gelbes Fenster im Winter

Wer im Winter dieses Jahres in Berlin die Leberstraße entlangläuft, hat eine Begegnung mit einem gelben Fenster. Es ist ein leuchtendes Blütengelb, und es leuchtet dort aus einem Fenster heraus. Tagsüber leuchtet es einfach nur. Vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang leuchtet es einfach dem Licht und den Farben des Tages entgegen. Den Winterfarben, den Matschfarben, den Asphaltfarben, den Plakatfarben, den Fassadenfarben, den Fenster- und Türrahmenfarben des Berliner Wintertages entgegen. Es leuchtet blütengelb aus dem Fenster der Galerie drj in der Leberstraße auf der Roten Insel in Berlin.

In der Nacht, wenn die Farben des Tages verschwunden sind, kommt Bewegung in das Gelb. Es ist eine langsame Bewegung, die über die menschliche Geduld hinausgeht. Zwei Streifen, ein horizontaler Streifen und ein vertikaler Streifen, pixelschmal, beginnen, von links und oben aus durch das Gelb zu wandern. Sie wandern ein Mal durch das Bild in einer Nacht. Wer nicht über die normale menschliche Geduld hinausgeht, wer nicht stehenbleibt und schaut oder zweimal schaut, auf dem Hin- und Rückweg durch die Leberstraße schaut, bemerkt die Bewegung nicht. Die beiden schmalen Streifen schieben sich durch das gelbe Bild. Sie zerteilen die Nacht viereckig. Die Vierecke vergrößern und verkleinern sich im gelben Fenster durch die Nacht, in der Dunkelheit. Errechnet an den GPS-Koordinaten der Galerie drj in der Leberstraße, 52°28’53,6″ Nördlicher Länge und 13°21’40,9″ Östlicher Breite, beginnt die Bewegung der schmalen Streifen im Winter exakt bei Sonnenuntergang und stoppt exakt bei Sonnenaufgang. Exakt nach einem Durchlauf durch das gelbe Fenster hindurch. Eine geometrische Sanduhr, ein doppelt linearer Zeitverlauf. 

Das viereckig bewegte Blütengelb leuchtet in die Berliner Nacht hinein und über die Bilder der Leberstraße auf der Roten Insel hinaus. Auf Horizonte am Meer, das von Wellenbrechern geteilt wird. Auf Rapsfelder, durch die der Dieseltraktor fährt. Auf langsame Bilder, die über die normale menschliche Geduld hinausgehen. Auf das Herbstgelb, das von den Bäumen auf die Straße fiel und sich langsam mit dem Matsch vermischte.

Herbst 2021, Thomas Goldstrasz


Oliver Siebeck – Klimafilm/Gelbfilm

Vor einigen Jahren schlief ich in einem Hotelzimmer mit kaputter Klimaanlage.
Wenige Minuten nachdem ich einschaltete, fing sie an zu klappern und stieß einen hohen Ton aus, der immer tiefer wurde. Sobald der Ton erstarb, ging auch die Anlage aus.
Keine Manipulation der Anlage, kein Aus- und wieder Einschalten, kein Schlagen auf das Gehäuse veränderte diesen Ablauf. Einschalten, Klappern, hoher Ton, der langsam tiefer wurde und Ende. Ich machte Tonaufnahmen der Anlage, vom unabänderlichen Verlauf.

Einige Zeit danach wurde ich zu einem Ausstellungsprojekt eingeladen – »La dificultad« (die Schwierigkeit), in einem Gebäude der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires, Argentinien (das Projekt fand leider nicht statt, aber darum soll es hier nicht gehen). Das Gebäude ist bewacht, es ist nicht einfach dort einzutreten.
Ich plante und realisierte eine Reihe von 11×11 = 121 gelb getuschten Blättern, die in gleichmäßigen Schritten von oben nach unten und links nach rechts durch zwei schwarze, mit Schreibmaschine getippte Linien, in immer neue Vierecke unterteilt sind. Unabänderlich. Auf ein Ende zulaufend.

Klimafilm (nach dieser Klimaanlage)/Gelbfilm (nach diesen Blättern) ist eine Arbeit, die den unabänderlichen, nicht aufzuhaltenden Verlauf einer Bewegung zeigt. Die vom Tag in die Nacht, die der Jahreszeiten, etc. Bewegungen, deren Ende schnell vorherzusehen, deren Ablauf aber unaufhaltsam ist. Ein eindeutiges, absehbares Ende. Tröstlich oder erschreckend. Vielleicht auch keins von beidem. Nur unaufhaltsam. Um von Neuem zu beginnen.

Oliver Siebeck, November 2021

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Thomas Goldstrasz – Yellow Window in Winter

Whoever walks along Leberstrasse in Berlin this winter will have an encounter with a yellow window. It is a bright floral yellow, and it shines out of a window there. During the day, it just glows. From sunrise through sunset, it simply glows towards the light and the colours of the day. Towards the winter colours, the mud colours, the asphalt colours, the poster colours, the façade colours, the window and door frame colours of the Berlin winter day. It shines flowery yellow out of the window of the drj gallery in Leberstrasse on the Red Island in Berlin.

At night, when the colours of day have disappeared, motion emerges in the yellow. It is a slow motion that is beyond human patience. Two stripes, a horizontal stripe and a vertical stripe, narrow as pixels, begin to move through the yellow from the left and above. They move once through the image in one night. Whoever does not go beyond normal human patience, whoever does not stop and look, or look twice, on the way to and fro through Leberstrasse, does not notice the motion. The two narrow stripes advance through the yellow image. They cut the night into squares. The squares enlarge and shrink within the yellow window as the night goes by, in darkness. Calculated from the GPS coordinates of the drj gallery in Leberstrasse, 52°28’53.6″ North Longitude and 13°21’40.9″ East Latitude, the movement of the narrow stripes in winter begins exactly at sunset and stops exactly at sunrise. Exactly after one pass through the yellow window. A geometric hourglass, a double linear time progression.

The square mobile floral yellow shines into the Berlin night and beyond the images of Leberstrasse on Rote Insel. Onto horizons by the sea divided by breakwaters. Onto rapeseed fields through which diesel tractors ride. Onto slow images that go beyond normal human patience. Onto the autumn yellow that fell from the trees onto the road and slowly mixed with the mud.

Autumn 2021, Thomas Goldstrasz

Oliver Siebeck – Klimafilm/Gelbfilm [Climate Film/Yellow Film]

Some years ago I stayed in a hotel room which had a broken air conditioner.
A few minutes after I had switched it on, it started rattling and produced a high-pitched sound that became deeper and deeper. As soon as the sound stopped, the system went off.
No manipulation of the system, no switching it off and on again, no hitting the outside of the unit changed this process. Switching on, rattling, high-pitched sound, which slowly went deeper and deeper, and that was the end. I made audio recordings of the system, of the unchanging process.

Some time later, I was invited to an exhibition project – »La dificultad« (the difficulty), in a building of the Jewish community in Buenos Aires, Argentina (unfortunately, the project was not realised, but that is not the subject here). The building is under guard, it is not easy to enter.
I conceived and realised a series of 11×11 = 121 yellow inked sheets, divided in equal steps from top to bottom and left to right by two black typewritten lines, into ever new squares. Unalterable. Running to one end.

Klimafilm (after this air conditioner)/Gelbfilm (after these sheets) is a work that displays the unalterable, unstoppable course of a movement. The movements from day to night, of the seasons, etc. Movements with an end that is immediately foreseeable, but a course of which is unstoppable. A clear, inevitable end. Comforting or frightening. Perhaps neither. Just unstoppable. To begin again

Oliver Siebeck, November 2021